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Johanna Kückes - dritter Rundbrief aus Palästina (vom Di, 17.07.2012)

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llmählich neigt sich mein Freiwilligenjahr in Palästina dem Ende entgegen. Die letzten Wochen waren geprägt von den ersten Abschieden, der Graduation-Feier der Tawjihi- Absolventen, einer Beerdigung, einer Hochzeit und vielem mehr. In diesem Rundbrief werde ich davon berichten sowie von meiner neuen Arbeit auf dem Ölberg und einer abendlichen Tour in die Wüste.

Seit Anfang Mai arbeite ich einmal pro Woche in dem Auguste Victoria Café, das neben der Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg in Jerusalem gelegen ist. Hier backe ich Kuchen und Kekse, koche Kaffee und Suppen, belege Sandwiches, kaufe ein, putze und unterhalte mich in ruhigen Minuten mit den Gästen, erzähle ihnen von meiner Arbeit in Talitha Kumi, von der politischen Situation, gebe Tipps für Ausflüge und erkläre ihnen den Weg zu Sehenswürdigkeiten. Ich genieße diese Arbeit, die eine Abwechslung zum Deutschunterricht bietet und bei der ich nebenbei viele interessante Menschen aus aller Welt treffe. Es ist zwar anstrengend, wenn mal eine größere Gruppe kommt, deren Mitglieder alle gleichzeitig bedient werden wollen, aber in diesen Momenten freue ich mich gleichzeitig auch darüber, dass dadurch viel Geld reinkommt. Denn in diesem Café arbeiten ausschließlich Freiwillige, mit den Erlösen werden gemeinnützige Projekte unterstützt.

Mittlerweile ist die Schule vorbei, die Klausuren wurden geschrieben. Mein blinder Schüler Ahmad hat in Deutsch sehr gut abgeschnitten, auch mit Katrin und Kassandra aus meiner Kleingruppe in der 9. Klasse bin ich sehr zufrieden. Die beiden haben sowohl die Deutschprüfung „Fit in Deutsch 2“ des Goethe-Instituts geschafft, die sie letztes Jahr nicht bestanden hatten, als auch jeweils über 90% in der Endjahresklausur geschrieben. Auch aus der 6. Klasse, die ich betreut habe, haben alle außer einem Jungen die FiD1-Prüfung bestanden. Insofern bin ich alles in allem wirklich zufrieden mit „meinen“ Kids. In der letzten Schulwoche und am Tag der Zeugnisverleihung hatte ich noch einmal die Gelegenheit, mich von ihnen zu verabschieden, bevor sie in die Ferien verschwanden.

im SchwimmbadDie Internatsmädchen machten einen Abschlussausflug in ein Hotel, zu dem ein Schwimmbad inkl. Außenschwimmanlage gehörte. Dort gab ich manchen Mädchen Schwimmunterricht, mit anderen plantschte ich einfach nur herum, rutschte die Rutsche runter oder zeigte ihnen Unterwasserrollen und -handstand. Es war sehr schön, mit den Mädchen nochmal einen ganzen Tag ohne Bücher zu verbringen und einfach nur Spaß zu haben.

Mit den Lehrern gab es ein Schuljahresabschlussessen. Eigentlich war eine Party vorgesehen, aber da ca. eine Woche vorher die Schulsekretärin Mary an Krebs gestorben war, wurde aus Trauer nicht richtig gefeiert.

Zu ihrer Beerdigung gingen fast alle Lehrer. Marys engste Freunde statteten ihrer Familie einen Besuch ab, während sich die restliche Trauergemeinde in der Geburtskirche versammelte. Um 12 Uhr mittags begann das Trauergeläut der Glocken, wenig später kam der Trauerzug, bestehend aus Verwandten und Freunden, die den Sarg von dem Haus ihrer Familie zur Kirche trugen. Nachdem ein paar Reden gehalten worden waren (die meisten auf Arabisch, sodass ich leider nur sehr wenig verstand), wurde Mary gesegnet und es gab die Möglichkeit, einen letzten kurzen Blick auf Mary zu werfen. Dies war für mich ein sehr ergreifender Moment, der mir mit Sicherheit lange in Erinnerung bleiben wird. Anschließend wurde der Sarg wieder geschlossen und die männliche Trauergesellschaft machte sich mit ihm auf den Weg zum Friedhof, um Mary zu beerdigen, während die Frauen sich in einem Saal der Kirche versammelten, Marys weiblichen Familienmitgliedern Beileid auszudrückten, den traditionellen Kaffee ohne Zucker (qahwe saada) tranken und einfach nur beisammen saßen und Mary gedachten. Schließlich kehrten die Männer zurück und die Gesellschaft löste sich allmählich auf. Die engsten Familienmitglieder trauerten drei Tage lang und ein Jahr lang gehen sie auf keine Partys oder Hochzeiten.

Aus diesem Grund sah ich auf der wenige Tage später stattfindenden Hochzeit von Maram, einer Erzieherin aus dem Internat, wenige bekannte Gesichter aus Talitha. Dennoch war die Feier sehr schön. Das Brautpaar Hochzeit von Maramist christlich, daher fand der erste Teil der Hochzeit in der Lateinisch Patriarchischen Kirche in Beit Jala statt. Die Kirche war schön, fast ein wenig kitschig, mit Kerzen, Blumen und Tüchern geschmückt. Als das Brautpaar hinter zwei Blumenmädchen die Kirche betrat, spielte die Orgel „Oh du Fröhliche“. Es wurden ein paar Lieder gesungen und das Vaterunser gesprochen, es folgten das Ehegelöbnis und das Anstecken der Ringe. Da man hier in der Öffentlichkeit nicht mehr Zuneigung zeigt als Händchenhalten, gab es keinen Kuss, sondern es wurde direkt der Ehevertrag unterschrieben. Anschließend wurde geklatscht und das frisch verheiratete Pärchen verließ die Kirche, um auf dem Vorhof Glückwünsche jedes einzelnen Gastes entgegen zu nehmen. Dazu stellten sich die Familienmitglieder der Braut und des Bräutigams in einer Reihe auf, an der die Gäste in einer weiteren Reihe entlanggingen, um jedem einzelnen zur Hochzeit zu gratulieren.

Tänze im NebelAbends traf die Hochzeitsgesellschaft in einem Festsaal, in dem an langen Tischen arabische Salate, Brot, Softdrinks und Araq (Anisschnaps) serviert wurden. Es wurde gegessen bis das Brautpaar den Saal betrat und die erste Tanzrunde begann. Als mich Schülerinnen aus „meiner“ 6.Klasse erkannten, zogen sie mich auf die Tanzfläche, brachten mir ein paar arabische Tanzbewegungen bei und machten mich mit ihren Eltern, Geschwistern, Cousins, Cousinen, Tanten und Onkeln bekannt. Nach 2-3 Stunden begaben sich alle wieder an die Tische, die Salate wurden abgeräumt und das Hauptgericht (Reis mit Hühnchen) serviert. Während wir aßen, wurde die Tanzfläche umdekoriert. Der nächste Programmpunkt bestand aus innigen, romantischen Tänzen im Nebel (es gab eine Nebelmaschine) zu kitschigen Liebesliedern von Celine Dion. Hochzeit von MaramZunächst tanzte nur das Brautpaar, später kamen auch andere Pärchen dazu. Nach einer Weile wurde die große, weiße, sehr süße und eher nicht so leckere Hochzeitstorte angeschnitten (mit der stumpfen Seite des Messers, das soll Glück bringen) und es wurde weitergetanzt, diesmal wieder „normal“, während die Torte in der Küche auf kleine Plastikteller verteilt wurde. Als Nachtisch gab es also diese supersüße Torte, es folgte weiteres Tanzen zum Verdauen. Um kurz nach Mitternacht versammelten sich Frauen und Kinder (inkl. der Braut) am Eingang des Saales, um anschließend mit Kerzen die Braut zurück zur Tanzfläche zu begleiten, wo sie mit je einer großen Kerze in der Hand zu einem arabischen Lied tanzte. Ein paar Minuten später versammelten sich die Männer am Eingang, setzten sich rote Tarbusch-Hüte auf und wedelten mit kleinen Peitschen durch die Luft, während sie sich in wildem Tanz auf den Weg zu den  Frauen  machten. So ausgestattet  wurde noch eine Weile weitergetanzt und die Hochzeitsgesellschaft begann sich allmählich aufzulösen.

Graduation-FeierDie Graduation-Feier der Tawjihi-Absolventen, die wohlgemerkt zwar nach dem letzten Schultag, aber noch vor den eigentlichen Prüfungen stattfand, begann nachmittags auf dem Schulhof, wo drei Stunden lang Reden gehalten wurden, und wurde abends in einem Festsaal fortgesetzt. Die Graduenten, vor allem die Mädchen, waren unglaublich gestylt, die Haare nahmen teilweise Dimensionen des Eiffelturms an und glitzerten wie Diskokugeln. Immer zu zweit (Junge, Mädchen) kamen sie eine Treppe herunter in den Saal, sodass jeder bewundert und beklatscht werden konnte. Auch hier wurde viel zu lauter (meist arabischer) Musik getanzt, das Essen bestand ebenfalls aus arabischen Salaten und später Reis mit Hühnchen, zum Nachtisch gab es Knafeh (palästinensische Spezialität, bestehend aus Käse, der mit Zuckersirup übergossen und mit Pistazien verziert wird).

Negev-WüsteEin weiteres Highlight der letzten Wochen war ein Ausflug in die Negev-Wüste. Eine deutsche Lehrerin nahm Annalene, Wiebke und  mich  in  ihrem  Jeep  mit  zu einer alten verlassenen Karawanserei im C-Gebiet (israelisch kontrolliertes Gebiet in der Westbank), um von dort aus den Sonnenuntergang zu beobachten.  Schon  der  Hinweg war straßentechnisch interessant. Er führte zuerst durch Bethlehems Schlaglöcherstraßen auf eine gut asphaltierte Siedlerstraße. Unmittelbar hinter dem Eingang der Siedlung hörte der gute Asphalt auf, bis wir ein von US Aid gefördertes Beduinendorf erreichten, wo nicht nur der Asphalt wieder begann, sondern die Straße sich von einer einspurigen in eine zweispurige verwandelte. Hier gab es Stoppschilder und sogar Zebrastreifen, die von den Häusern in die Wüste, also quasi ins Nichts, führten. Am Ausgang des Dorfes wurde die Straße wieder schlecht und man sah auf der rechten Seite 2x2 Meter große „Häuser“, die von der israelischen Regierung dort gebaut wurden, um die Beduinen sesshaft zu machen. Wir kamen an Kamelen, Schaf- und Ziegenherden und Beduinen vorbei, bis die Straße, hier nur noch eine Schotterpiste mit vielen Löchern, an der Karawanserei endete. Hier waren wir allerdings nicht allein. Schon von weitem sahen wir zwei Militärbusse, die davor parkten. Wir ließen uns von den dort herumlaufenden Soldaten nicht beirren, suchten uns ein schönes Plätzchen mit einer genialen Aussicht über die Wüste und packten unser Picknick aus.

Nach ein paar Minuten kam einer der etwa 18-20-jährigen Soldaten zu uns herüber und das Gespräch verlief folgendermaßen: „Woher kommt ihr?“ „Aus Deutschland.“ „Was macht ihr hier?“ „Wir essen und schauen uns den Sonnenuntergang an.“ „Habt ihr eine Erlaubnis dafür?“ „Nein, brauchen wir eine?“ „Ja.“ „Seit wann?“ „Seit jetzt.“ „Wo bekommen wir diese Erlaubnis?“ „Bei mir.“ „Also haben wir jetzt Ihre Erlaubnis, hier zu sein?“ „Ja.“ Und er ging weg.

Wir genossen den Sonnenuntergang (wunderschön!), den Blick bis zum Toten Meer und nach Bethlehem und unser Essen. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwand, stieg etwa die Hälfte der anwesenden Soldaten in einen der Busse und fuhr weg. Der junge Soldat, der uns die Erlaubnis erteilt hatte, uns auf dem Hügel aufzuhalten, gehörte zu denen, die in der alten Karawanserei zurückblieben, sodass wir noch einmal die Möglichkeit hatten, uns ein wenig mit ihm zu unterhalten. Auf die Frage hin, wo denn die anderen hinfahren und was sie dort machen, antwortete er „They walk in the desert until the morning and then they shoot the Arabs. Just as a training of course.“ (deutsch: - Sie wandern bis zum Morgen durch die Wüste und dann erschießen sie die Araber. Natürlich nur zur Übung. - ). Vielleicht war sein Englisch so schlecht, dass er einfach etwas anderes sagte, als er meinte, aber diese Aussage hat mich etwas geschockt. Ich wusste zwar, dass in den C-Gebieten öfters Militärübungen stattfinden, aber dass so offen darüber geredet wird, hat mich dann doch überrascht.

Nun werde ich also bald nach Deutschland zurückkehren. In das Land, in dem es normal ist, mehr unbedeckt zu lassen als Gesicht, Unterarme und Füße, in dem es feste, unverhandelbare Preise gibt, in dem das Toilettenpapier in die Toilette geworfen wird, in dem es das ganze Jahr über grün ist, in dem man auch mal ohne Pass herumlaufen kann. Das Land, in dem Frauen 7-8 Kinder zur Welt bringen und nicht 1-2, in dem es Rente und Krankenversicherungen  gibt und in dem es nicht auffällt, blond, blauäugig und hellhäutig zu sein. Das Land, in dem erwartet wird, dass man pünktlich ist, in dem man länger als eine halbe Stunde mit dem Auto fahren kann, ohne einen Checkpoint zu passieren, das Land, in dem man vielleicht zweimal im Leben und nicht zweimal im Monat einen Heiratsantrag bekommt, in dem der Müll in Mülleimer geworfen wird und in dem es Schwarzbrot gibt. In dem nicht jedes Fleckchen Erde für irgendwen heilig ist, in dem es Wasser im Überfluss gibt und Kirchenglocken anstelle von Muezzinrufen erklingen.

Ich werde Palästina vermissen, auch wenn ich weiß, dass es gut ist, nach einem Jahr wieder nach Deutschland zu gehen. Aber ich werde wiederkommen, inschallah!

Sonnenuntergang in der Negev-Wüste 

Kontakt

Adresse: Johanna Kückes, Church of the Redeemer, Muristan Road, PO Box 14076, 91140 Jerusalem, Israel

E-Mail:

[ jk, 17.07.2012 ]
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